Vom Geben und Nicht-Geben

Nun bin ich seit gut einer Woche in Dar es Salaam. Es sind gerade einmal acht Tage vergangen, und dennoch habe ich schon so viel erleben dürfen. Ich werde für ein halbes Jahr in Tansania bleiben, um bei einem Waisenkinderprogramm der Moravian Church mitzuarbeiten – in wenigen Wochen gemeinsam mit Elke.

Üblicherweise berichtet man in einem Blogeintrag davon, was man erlebt hat. Ich möchte heute diesen Teil ganz überspringen und direkt zu einem anderen Thema übergehen: Es geht um das Geben und Nicht-Geben. Gestern wurde ich auf meinem Heimweg von einem Mann angesprochen, der um etwas Geld bat. Er trug abgerissene Kleidung und sah verwahrlost aus. Ich habe ihm nichts gegeben. Obwohl ich genügend Geld in meiner Tasche hatte und eine Stunde zuvor in einem Restaurant lecker essen war. Ich habe ihm bewusst nichts gegeben. Als ich in meinem Zimmer ankam, war ich den Tränen nahe. Ich habe mich gehasst dafür, dass ich ihm nichts gegeben habe – ich tue es immer noch. Warum also habe ich ihm nichts gegeben? Wenigstens ein paar Cent? Was hätte das mir schon ausgemacht? Ich habe einen Grund dafür, eine Erklärung, auch wenn ich mich für diese Erklärung vor mir selbst schäme. Ich möchte nicht Teil dieses Kreislaufs sein. Wenn Weiße in Ländern wie Tansania unterwegs sind, wird ihnen automatisch unterstellt, dass sie reich sind. Wir konnten in dieses Land reisen – wenn man sich ein Flugticket leisten kann, ist man reich. Das leuchtet ein. Oft sind die Menschen erstaunt, wenn ich ihnen erzähle, wie viel in Deutschland gearbeitet wird, oder wie gravierend psychische Probleme wie Depressionen sind. Doch darum soll es heute nicht gehen. Nehmen wir also an, es wäre wahr, dass alle Deutschen unermesslich reich sind. Was passiert in dem Moment, in dem ich einer bettelnden Person in Dar es Salaam Geld gebe? Ich helfe ihr durch den Tag, vielleicht kauft sie mit dem Geld Essen, vielleicht Alkohol, vielleicht Zigaretten. Vielleicht ist die Person gar nicht arm. Vielleicht hat sie seit Tagen nichts gegessen. Ich weiß es nicht. Alles was ich weiß ist, dass ich in dem Moment, in dem ich ihr Geld gebe, zu dem nie endenden Kreislauf beitrage: Polemisch formuliert könnte man sagen, die Weißen kommen und geben. Ich lindere vielleicht für den Moment das Leid dieser einen Person. Doch dieser Person werden Hundert andere folgen. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist nicht nachhaltig, Geld zu geben. Selbst etwas zu essen zu kaufen und der Person zu geben, wäre in diesem Sinne nicht nachhaltig. Wenn ich für zehn Jahre hier leben würde – ich würde Geld geben. Weil ich hierbleiben würde. Aber so bin ich hier, einige wenige Monate, und werde danach verschwinden. Dieses Land muss sich um seine Menschen kümmern. Nicht ich. Weil ich ihnen für den Moment helfen würde, aber nicht langfristig. Das ist wie wenn man einen abgemagerten Welpen von Hundeschmugglern abkauft – man hat ihn gerettet, aber ihm werden Tausende folgen. Asozial? Auf jeden Fall. Zynisch, makaber? Ganz bestimmt. Bin ich mir mit dieser Meinung sicher? Auf keinen Fall. Jeden Tag zweifle ich daran. Ständig frage ich mich, wie man so denken kann. Wie kann man einen hungrigen Menschen sehen und ihm nicht helfen, obwohl man es könnte? Wie kann man so sein? Vielleicht bin ich auch einfach besonders herzlos. Ich weiß es nicht. Ich möchte nur, dass dieser Kreislauf aufhört.

Manch einer fragt sich jetzt, was tut sie dann in Tansania? Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass ich hier etwas Gutes tun könnte. Ich bin hier für mich. Und ganz bestimmt nicht, weil ich glaube „etwas bewegen zu können“. Dafür müsste ich länger hier sein oder öfter wiederkommen, um Sprache und Kultur wirklich verstehen zu können (was ja vielleicht der Fall sein wird, man weiß es nicht…). Warum ich dann nicht einen Freiwilligendienst in Deutschland mache? Die Antwort ist simpel: Mir gefällt es hier wahnsinnig gut.